Wie wird Qualitätsmanagement zum echten Führungsinstrument?
Diese Fallstudie zeigt, wie ein operativ starkes KMU mit dezentraler Struktur ein lebendiges QM-System aufgebaut hat – alltagstauglich, menschenzentriert und mit klaren Verantwortlichkeiten.
Executive Summary
Qualitätsmanagement steht in vielen Organisationen für Bürokratie, Kontrolle und administrativen Mehraufwand – nicht für Klarheit, Orientierung oder Wirkung. Der formale Druck zur Zertifizierung verdrängt oft das eigentliche Potenzial: QM als Führungsinstrument, das Verantwortung sichtbar macht, Prozesse stärkt und Lernen im Alltag verankert.
Dieses Whitepaper zeigt am Beispiel der Contreag Container-Reinigungs AG, wie der Wandel vom Zertifikatsprojekt zum lebendigen Managementsystem gelingen kann – pragmatisch, schrittweise und menschenzentriert. Ausgangspunkt ist nicht ein technisches Tool oder eine neue Normenlogik, sondern ein einfaches Ziel: Ein System zu schaffen, das seinen Nutzern genau so viel gibt, wie es von ihnen verlangt.
Die Fallstudie beschreibt die wichtigsten Etappen dieses Wandels:
- die Sichtbarmachung bestehender Stärken,
- die Etablierung einer gemeinsamen Prozesslandkarte,
- der Aufbau einer zugänglichen Dokumentenstruktur,
- die Einführung agiler Q-Zirkel Modus Operandi im Alltag,
- und der gezielte Einsatz digitaler Assistenzsysteme zur Reduktion von Barrieren
Diese Fallstudie wurde im Rahmen der Veranstaltung "Nacht der jungen Leader" in Basel vorgestellt. Im Anhang finden sich drei häufige Fragen junger Führungskräfte, die dort im Anschluss an die Präsentation diskutiert wurden – inklusive Standortbestimmung, konkreten Handlungsempfehlungen und praxiserprobten Tools.
Dieses Whitepaper richtet sich an alle, die Qualitätsmanagement nicht als formale Pflicht, sondern als Gestaltungsraum begreifen – unabhängig davon, ob sie in einem Konzern, einem Familienunternehmen oder einem wachsenden Startup Verantwortung tragen.

Ausgangslage: QM aus der Steinzeit
Qualitätsmanagement wird in vielen Unternehmen nicht als Unterstützung erlebt, sondern als Belastung. Mitarbeitende verbinden damit Bürokratie, Kontrolle, Formulare – selten aber Orientierung, Entwicklung oder Erleichterung. Diese Erfahrung machte auch die Contreag Container-Reinigungs AG.
Die Contreag Container-Reinigungs AG ist ein spezialisiertes KMU, das sich auf die Reinigung, Reparatur und den Verkauf von Containern fokussiert. Als operativ starkes Unternehmen agiert Contreag in seinem Marktsegment als echter Hidden Champion – sowohl in Bezug auf Innovationskraft als auch auf Marktdurchdringung. Die Firma ist schweizweit tätig und fällt oft erst beim zweiten Blick auf: Wer die roten Ausrufezeichen auf Abfallcontainern sieht, erkennt sie nach der ersten Begegnung immer wieder. Sie operiert meist im Hintergrund – prägt aber Standards und Prozesse innerhalb der eigenen Branche massgeblich.
Contreag ist ein Familienunternehmen mit mehreren Standorten und einem hohen Anteil operativ tätiger Mitarbeitender im Ausseneinsatz. Die Organisation ist dezentral, der Arbeitsalltag geprägt von Tempo, Eigenverantwortung und Kundennähe. Vieles lief gut – doch ein gemeinsames System fehlte.
Das Qualitätsmanagement war über Jahre hinweg Stückwerk. Wissen war in Köpfen gespeichert, nicht in klaren Strukturen. Prozesse waren vertraut, aber nicht dokumentiert. Die vorhandene Dokumentation diente vor allem externen Auditoren – nicht dem Alltag der Mitarbeitenden. Hinzu kam der wachsende Druck durch die Anforderungen der ISO-Zertifizierung. Das damalige QM-System bestand aus Artikeln, handschriftlichen Notizen und Einzelblättern – gesammelt in einem Ordner, den Geschäftsführer Fritz Lüdi heute als „steinzeitliches Artefakt“ bezeichnet.
Fritz Lüdi, Teil der nachrückenden Generation, versuchte den Wandel einzuleiten. Er wollte Ordnung schaffen, Prozesse sichtbar machen und ein funktionierendes System aufbauen. Doch im ersten Anlauf scheiterte er an der Komplexität. Das Geflecht aus Abläufen, Beteiligten und Dokumenten liess sich allein nicht bewältigen. Der Versuch machte deutlich: Ein tragfähiges Managementsystem lässt sich nicht von Einzelpersonen entwickeln – insbesondere nicht in einem dynamischen, dezentralen Umfeld.
An diesem Punkt kam Fraktalwerk ins Spiel. Gemeinsam mit Fritz Lüdi nahm sich das Team der Herausforderung an, Qualitätsmanagement neu zu denken: weg von der Pflichtübung, hin zu einem alltagstauglichen, menschenzentrierten System. Ziel war keine theoretische Konstruktion, sondern eine gelebte Struktur – anschlussfähig an die Praxis, tragfähig für Entwicklung.
Neuausrichtung: Bestehendes sichtbar machen, Verantwortung verteilen
Gleichzeitig war die Ausgangslage gar nicht schlecht: Viele Abläufe liefen stabil, viele Mitarbeitende handelten verantwortungsvoll, viele Lösungen waren erprobt. „Fraktalwerk hat uns aufgezeigt, dass wir bereits vieles gut umsetzten. Das war das erste Mal, dass wir im Zusammenhang mit QM Lob bekamen.“ Diese Rückmeldung veränderte den Blick. Nicht: Wir müssen alles neu machen. Sondern: Wir müssen sichtbar machen, was schon da ist – und es systematisch verankern.

Der Wendepunkt war kein Technologieprojekt, sondern ein Haltungswechsel. Ziel war nicht die perfekt glänzende Prozessdokumentation, sondern ein System, das Klarheit schafft, Verantwortung ermöglicht und im Alltag funktioniert. Die Grundlage dafür bildeten zwei zentrale Bausteine: Erstens die Entwicklung einer übergreifenden Prozesslandkarte, die nicht nur Haupt- und Supportprozesse sichtbar machte, sondern auch Verantwortung, Schnittstellen und Abhängigkeiten. Und zweitens der Aufbau eines dokumentierten Informationssystems, in dem alle relevanten Inhalte versioniert, auffindbar und verständlich zugänglich sind.

Diese beiden Elemente – Prozesse & Dokumentation – wurden bewusst vorgezogen. Sie bildeten das Fundament. Ohne dieses wäre alles Weitere ins Leere gelaufen. Erst nachdem Klarheit über das „Was“ und „Wer“ herrschte, konnten kleinere Verbesserungen, Quick Wins und selbst undankbare Aufgaben eigenverantwortlich in Angriff genommen werden. „Das sind wie Hausaufgaben“, sagt Lüdi. „Die bringt man dann laufend unter.“
Aktivierung der Prozesseigner
Ein zentrales Element war die bewusste Aktivierung der Prozesseigner. Weg vom zentralen QM-Beauftragten – hin zu Menschen, die die Abläufe kennen, verantworten und gestalten. Jeder Bereich, jede Funktion, jede Linie erhielt damit einen Ankerpunkt im System. Diese Verantwortungsübernahme funktionierte nicht abstrakt, sondern konkret – und sichtbar.
Ein Beispiel dafür ist ein Workshop mit Mitarbeitenden, in dem Prozesse vorgestellt und reflektiert wurden. Einer der Teilnehmenden, Bari, präsentierte den Ablauf in seinem Bereich mit so viel Überzeugung und Selbstverständnis, dass später ein Kollege trocken kommentierte: „Auf dem Bild sieht man: Das ist ein Schnauz der Freude!“ Genau in solchen Momenten zeigt sich, was Systemwirkung bedeuten kann: Wenn Menschen mit Stolz über ihren Beitrag sprechen, entsteht nicht nur Qualität – sondern Identifikation.
Etablierung agiler Routinen
Nach dem erfolgreichen Aufbau der Grundlagen wurde das Projekt in ein agiles System überführt, das heute den Alltag prägt. Die Q-Zirkel wurden zu festen Routinen: Zwei Zyklen pro Jahr, in denen Prozesseigner und Schlüsselpersonen ihre Bereiche reflektieren, Massnahmen planen und priorisieren – und diese im Alltag gezielt umsetzen. Ständiges Lernen, eigenverantwortliches Handeln und sichtbare Fortschritte wurden zum neuen Modus Operandi.
Diese Arbeit geschieht nicht abstrakt, sondern konkret – wie Hausaufgaben, sagt Fritz Lüdi. Man plant, arbeitet ab und erkennt dabei Schritt für Schritt eine spürbare Verbesserung. Statt punktuellem Aktionismus ist daraus ein kontinuierlicher Lernprozess geworden, eingebettet in die Führungsarbeit.
Nicht ganz zu vermeiden ist dabei der Umstand, dass vor anstehenden Audits jeweils gewisse Sonderefforts notwendig werden. "Ein bisschen Management muss halt sein", sagt Sascha Herzog. Denn: Die Einhaltung von Vorhaben und Termintreue gehören nun einmal dazu.

Digitale Unterstützung: Barrieren abbauen, Orientierung fördern
Ein weiterer Entwicklungsschritt war die Einführung eines digitalen Assistenzsystems – ein KI-gestützter Chatbot, der den Zugang zu dokumentiertem Wissen erleichtert. Die Motivation war klar: nicht Innovation um der Innovation willen, sondern die Reduktion realer Barrieren. Lange Dokumente, schwer auffindbare Informationen, sperrige Formulierungen – all das wurde als Hindernis identifiziert. Der Assistent hilft heute dabei, Inhalte schnell zu finden, Fragen in natürlicher Sprache zu beantworten oder komplexe Regelungen alltagstauglich aufzubereiten.
Gerade neue Mitarbeitende profitieren davon, aber auch Prozesseigner und Führungskräfte, die sich ohne Umwege einen Überblick verschaffen wollen. Entscheidend ist: Die Technologie wurde nicht vorausgeschickt, sondern auf ein funktionierendes System aufgesetzt. Nur auf dieser Basis kann Unterstützung Wirkung entfalten. Deshalb gilt auch hier: People driven – AI supported.
Fazit: Ein System mit Rückgrat – und Bewegung
Heute ist bei Contreag nicht alles perfekt – aber vieles funktioniert. Das System ist nicht fertig, sondern entwickelt sich weiter. Verantwortung wird geteilt, nicht abgeschoben. Lernen gehört zum Alltag. Und Qualität ist nicht mehr etwas, das nur für den Auditor gemacht wird – sondern für die eigene Arbeit.
Qualität hat zwei Seiten: eine strukturierte Managementebene und eine menschliche, von Leadership geprägte Ebene. Dieser Fall zeigt, wie Fortschritte auf beiden Ebenen möglich sind. Mitarbeitende, die Verantwortung übernehmen, geben dem System Leben und Richtung. Und die konsequente Nachverfolgung von Prozessen sorgt dafür, dass Entwicklungen sichtbar und wirksam werden.
Stream der Breakout Session an der Nacht der jungen Leaders in Basel
Die hier vorgestellte Fallstudie wurde im Rahmen der Breakout-Session „QM im Zeitalter der KI – Vom Managementsystem zum Leadership-Tool“ an der Nacht der jungen Leader 2025 in Basel präsentiert.
Sascha Herzog (Fraktalwerk GmbH) und Fritz Lüdi (Contreag Container-Reinigungs AG) geben darin Einblick in den gemeinsamen Weg vom Pflichtsystem zur lebendigen Führungsstruktur.
Begleitunterlagen zur Session
Die wichtigsten Inhalte der Breakout-Session „QM im Zeitalter der KI – Vom Managementsystem zum Leadership-Tool“ wurden in einer kompakten Präsentation aufbereitet.Das PDF enthält zentrale Visualisierungen, Zitate und Strukturprinzipien der Fallstudie sowie die Leitfragen, die während der Nacht der jungen Leader gemeinsam mit den Teilnehmenden diskutiert wurden.
